Heilige Nacht
- Herzensprojekt und Lebensrolle
Interview mit Enrico de Paruta
von Anna Maria Bernhardt
Bernhardt: Herr de Paruta, Sie sind Autor, Regisseur, Schauspieler und Produzent der Weihnachtsfestspiele Heilige Nacht. Was bereitet Ihnen daran am meisten Freude?
de Paruta: Ganz klar: Auf der Bühne zu stehen. Da erreiche ich die Menschen direkt – kann sie zum Lachen bringen, berühren, ihnen Freude schenken.
Bernhardt: Als Erzähler verkörpern Sie viele Rollen. Welche liegt Ihnen besonders?
de Paruta: Die des Erzählers. Er führt durch das Stück, bringt die Figuren aus sich heraus zum Leben. Diese Perspektive ist mir über all die Jahre am nächsten geblieben. Sie kommt auch meinem früheren Beruf als Moderator sehr nahe. Nur, dass es sich bei der Heiligen Nacht um die Rezitation eines Gedichtes in bayerischer Mundart handelt.
Bernhardt: Sie haben die Heilige Nacht über 20 Jahre hinweg vorgetragen, bevor der große Durchbruch kam. Wie war dieser Weg?
de Paruta: Schon während meiner Schauspiel- und Gesangsausbildung waren die Sendestudios des Bayerischen Rundfunks mein Zuhause – vor allem in Live-Sendungen. Deshalb konnte ich nie fest an ein Theater gehen. Stattdessen habe ich Soloprogramme gemacht – musikalisch-literarisch. Mein erstes war 1975 die Heilige Nacht. Ich war damit viele Jahre unterwegs. 1993 wurde mir schließlich die Nachfolge von Gustl Bayrhammer angeboten, inklusive seines Alpenländischen Adventssingens in der Münchner Residenz. Ich habe die Produktion im Laufe der Jahre neu gestaltet und selbst veranstaltet.
Bernhardt: Wie kam es zur Rolle als Produzent?
de Paruta: 1987 besuchte Roman Herzog eine Aufführung in Wallgau. Ein Jahr später übergab er mir ein Manuskript, das er selbst geschrieben hatte – eine Heilige Nacht für Kinder. Sein Anliegen war, die Weihnachtslegende für Kinder zugänglich zu machen. Ihm war bewusst, welche Werte das Werk vermittelt – christlich, menschlich, sozial.
Bernhardt: Haben Sie dieses Manuskript umgesetzt?
de Paruta: Ja. Als Bundespräsident plante Herzog eine TV-Weihnachtsfeier – Ost und West gemeinsam. Ihm lag am Herzen, dem Fernsehpublikum den Ursprung des Weihnachtsfests und die Vielfalt der deutschen Weihnachtstradition näherzubringen. Die Pilotsendung sollte aus Bayern kommen. Als er mich fragte, ob ich die Umsetzung übernehmen würde, war das für mich natürlich keine Frage.
Bernhardt: Sie waren Hauptdarsteller, Regisseur und Produzent zugleich – wie haben Sie das organisiert?
de Paruta: Ich habe mir ein starkes Team geholt. Franz Seitz, der große bayerische Filmproduzent, schrieb die Zwischentexte. Eduard Baumgartner vom BR übernahm die Regie. Carolin Reiber erklärte in Szenen kindgerecht die Handlung. Das ZDF strahlte die Produktion 1995 an Heiligabend aus – als Bayerisches Weihnachtsoratorium. Ein großer Meilenstein.
Bernhardt: Was motiviert Sie, die Heilige Nacht bis heute weiterzuführen?
de Paruta: Das Werk vereint vieles: Eine tief verwurzelte christliche Botschaft, soziale Verantwortung und eine Sprache voller Poesie – im altbayerischen Dialekt. Was mich antreibt, ist die Entwicklung: Aus einem statischen Oratorium wurde ein lebendiges Festspiel. Dieser Prozess geht weiter – Jahr für Jahr. Das Stück bleibt dadurch pulsierend und aktuell.
Bernhardt: Was bedeutet Ihnen die Heilige Nacht persönlich?
de Paruta: Ich kenne keine andere Weihnachtserzählung, die mich über Jahrzehnte so berührt hat. Für mich persönlich ist sie Lebensbegleiter, Entwicklungshelfer und Brückenbauer. Sie hat mich geprägt. Im Denken und Handeln.
Bernhardt: 2025 feiern Sie 50 Jahre Bühne mit der Heiligen Nacht. Ist der Erzähler Ihre Lebensrolle?
de Paruta: Rückblickend, ja. Wobei das Werk eher mich gefunden hat. Während meiner Ausbildung wurde es mir von meiner Sprecherzieherin Edeltraud Mertel ans Herz gelegt. Wir arbeiteten intensiv daran – und ich merkte schnell: Ich kann das nicht einfach vom Tisch ablesen. Ich wollte spielen, verkörpern. So entstand das Ein-Personen-Spiel, das ich bis heute weiterentwickle. Ich bin meiner Mentorin unendlich dankbar für diesen Impuls.
Bernhardt: Immer wieder gibt es Diskussionen um Ludwig Thoma und seine problematischen politischen Texte. Wie gehen Sie damit um?
de Paruta: Ich distanziere mich klar von seinen hetzerischen Artikeln. Was ihn damals angetrieben hat, bleibt Spekulation – aber es hat seinem Ruhm massiv geschadet. Das ändert jedoch nichts am literarischen Wert seiner Romane, Erzählungen und Bühnenstücke. Wir gehen damit verantwortungsbewusst um.
Bernhardt: Wie zeigt sich das in Ihrer Inszenierung?
de Paruta: In unserer Version behandeln wir biblische Namen und Motive mit großer Sensibilität. Die Bethlehemiten sind bei uns Bürger mit allen möglichen Vorurteilen und Ignoranz, wie sie überall vorkommt. Im Gegensatz zum Originaltext bereuen sie am Ende ihr Verhalten – und stehen mit an der Krippe. Ein versöhnlicher Gedanke, der mir bei Thoma fehlt.
Bernhardt: Welche Rolle spielt die Musik im Festspiel?
de Paruta: Eine zentrale. Schon Thoma hat das gewusst. Er unterbricht den Erzähltext mit kurzen Gedichten, Gesängen. Diese musikalischen Brücken helfen, die Aufmerksamkeit zu halten und Stimmungen zu transportieren. Diese Gesänge wurden bald schon volksmusikalisch zur Aufführung gebracht.
Bernhardt: Wie kam es zur klassischen Musik im Stück?
de Paruta: Basierend auf der Heiligen Nacht wollte Thoma ein Weihnachtsspiel auf die Bühne bringen und es mit klassischer Musik vertonen lassen – von seinem großen Zeitgenossen Max Reger. Doch Reger war bereits tot. Seinen Herzenswunsch hat Thoma sogar zu Papier gebracht. 1917 in einem Brief an seine Lebensgefährtin Maidi von Liebermann. Mich hat die Idee schon immer fasziniert. Und so begannen mein damaliger Harfenbegleiter Hubert Pfluger und ich, nach und nach klassische Stücke in unser Aufführungskonzept einzubinden. Das Publikum horchte auf und war begeistert – so entstand über die Jahre ein durchkomponiertes Pasticcio.
Bernhardt: Was macht Ihr Weihnachtsfestspiel zum Pasticcio?
de Paruta: Ein Pasticcio ist ja ein musikalisches Bühnenwerk, das sich aus bereits existierenden Musikstücken verschiedener Komponisten zusammensetzt. In unserer Bühneninszenierung sind es allen voran Werke von Mozart, Schubert, Haydn, Bach, Händel und selbstverständlich Reger. Ergänzt durch Volks- und Weltmusik sowie symphonisch aufbereitete Weihnachtslieder. Wir sind in der glücklichen Lage, über ein Ensemble aus Oper, Konzert und Schauspiel zu verfügen, das einen so weiten musikalischen Bogen spannt. Alles virtuose Künstler. Sie singen und musizieren aus Leidenschaft. Auch die Kindersolisten der Engelsstimmen.
Bernhardt: Sie haben vor über 20 Jahren das Förderprojekt Engelsstimmen gegründet. Warum?
de Paruta: Das war die logische Fortsetzung von Herzogs Idee – das Werk für kommende Generationen lebendig zu halten. Am besten gelingt das, wenn Kinder selbst auf der Bühne stehen. Seitdem suchen wir jedes Jahr junge Gesangstalente. In diesem Projekt steckt viel Herzblut.
Bernhardt: Wie läuft die Förderung ab?
de Paruta: Unsere Kinder kommen am Wochenende nicht zur Probe, weil sie müssen – sondern weil sie wollen. Sie bereiten sich intensiv auf ihre Rollen vor. Wir behandeln sie wie Kollegen, nicht wie Schüler. In diesem Umfeld entfalten sich Talente. Manche bleiben jahrelang. Einige kehren nach dem Stimmwechsel wieder zurück. Das ist bewegend – und zeigt: Unsere Saat geht auf. Als Kind aus einem nicht musikalischen Elternhaus hatte ich diese Chance nicht bekommen. Auch deshalb habe ich das Projekt ins Leben gerufen. In meiner TV-Kollegin Carolin Reiber hatte ich 2004 eine begeisterte Schirmherrin gefunden. Damals gab es den ersten Gesangswettbewerb im Rahmen der musica Bavariae-Nachwuchsförderpreise. Mittlerweile haben wir über einhundert Kindern die Förderung ermöglicht. In fast 500 Vorstellungen konnten sich Engelsstimmen als Solisten ausprobieren. Für einige war es die Startrampe zur künstlerischen Laufbahn. Dieses Jahr sind es neun Preisträger, die ihr Debüt geben – darunter ein Geschwistertrio und -duo. Ein Geschenk.
Anna Maria Bernhardt
08/2025
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