Heilige Nacht

Herzensprojekt und Lebensrolle

 

Anna Maria Bernhardt

Im Gespräch mit Enrico de Paruta   

 

Der Erzähler

 

  

Bernhardt: Herr de Paruta, Sie sind Autor, Regisseur, Schauspieler und Produzent der Weihnachtsfestspiele Heilige Nacht. Was sind Sie am liebsten?

 

Paruta: Ganz klar, das Schauspiel. Da erreiche ich die Menschen direkt – kann sie zum Nachdenken bringen, berühren, ihnen Freude schenken.

 

Bernhardt: Als Erzähler verkörpern Sie viele Rollen. Welche liegt Ihnen besonders?

 

Paruta: Die des Erzählers. Er führt durch das Stück, bringt die Figuren aus sich heraus zum Leben. Diese Perspektive war mir über all die Jahre am nächsten. Sie kommt auch meinem Beruf als Moderator sehr nahe. Nur, dass es sich bei der Heiligen Nacht um die Rezitation eines Gedichtes in bayerischer Mundart handelt. Gereimte Literatur, die ich bemüht bin, so zu bringen, als wäre sie ein spontaner Gedanke, ein engagierter Bericht des gerade Erlebten.

Enrico de Paruta in seiner Inszenierung des Weihnachtsfestspiels 2024
Enrico de Paruta in seiner Inszenierung des Weihnachtsfestspiels 2024

Das Debüt 

 

 

Bernhardt: Sie haben die Heilige Nacht über 20 Jahre hinweg vorgetragen, bevor der entscheidende Moment kam...

  

Paruta: Schon während meiner Schauspiel- und Gesangsausbildung waren die Sendestudios des Bayerischen Rundfunks mein Zuhause – vor allem in täglichen Live-Moderationen. Deshalb konnte ich kein festes Engagement  am Theater eingehen. Ich habe Soloprogramme gemacht – musikalisch-literarisch.

 

Bernhardt: Ihr erstes war 1975 die Heilige Nacht., die Sie viele Jahre in Kirchen und Sälen aufführten. 

 

Paruta: 1993 trat ich mit dem Werk die Nachfolge von Gustl Bayrhammer in der Münchner Residenz an. Ich habe die Aufführung neu gestaltet. Ein Jahr später kam ein Augsburger Tourneeveranstalter, mit dem ich zehn Jahre auf Weihnachtstourneen war. Das waren Lehrjahre für die späteren Bühnenproduktionen und Veranstaltungen. 



Das Herzog Manuskript

 

 

Bernhardt: Wie kam es zur Rolle als Produzent?

 

Paruta: 1987 besuchte Roman Herzog eine Aufführung in Wallgau. Ein Jahr später übergab er mir ein Manuskript, das er selbst geschrieben hatte – eine Heilige Nacht für Kinder. Sein Anliegen war, die Weihnachtslegende den nächsten Generationen zugänglich zu machen. Ihm war bewusst, welche Werte das Werk vermittelt.

 

Bernhardt: Haben Sie dieses Manuskript umgesetzt?

 

Paruta: Ja. Als Bundespräsident plante Herzog eine TV-Weihnachtsfeier – Ost und West gemeinsam. Ihm lag am Herzen, dem Fernsehpublikum den Ursprung des Weihnachtsfests und die Vielfalt der deutschen Weihnachtstradition näherzubringen. Die Pilotsendung sollte aus Bayern kommen und ich sollte die Umsetzung übernehmen. Mit Mut und Gottvertrauen stürzte ich mich in das Mammutprojekt - naiv wie ich war.

Bayerisches Weihnachtsoratorium im Marienmünster Dießen, ZDF 1995.
Bayerisches Weihnachtsoratorium im Marienmünster Dießen, ZDF 1995.

Das Bayerisches Weihnachtsoratorium 

 

 

Bernhardt: Sie waren Hauptdarsteller, Regisseur und Produzent zugleich – wie haben Sie das organisiert?

 

Paruta: Ich habe mir ein starkes Team geholt. Franz Seitz, der große bayerische Filmproduzent, schrieb auf der Basis des Herzog-Konzepts die Zwischentexte. Eduard Baumgartner vom BR übernahm die Regie. Carolin Reiber erklärte in Szenen die Handlung für Kinder.

 

Bernhardt: Was motiviert Sie, die Heilige Nacht bis heute weiterzuführen?

  

Paruta: Eine tief verwurzelte christliche Botschaft, soziale Verantwortung und eine Sprache voller Poesie – im altbayerischen Dialekt. Was mich antreibt, ist die Entwicklung: Aus einem statischen Oratorium wurde ein lebendiges Festspiel. Dieser Prozess geht weiter – Jahr für Jahr. Das Stück bleibt dadurch pulsierend und stumpft sich nicht ab.



Die Lebensrolle

 

 

Bernhardt: Was bedeutet Ihnen die Heilige Nacht persönlich?

 

Paruta: Sie wurde zu meinem Lebensbegleiter, Entwicklungshelfer und Brückenbauer. Ich kenne kein anderes Werk, das mich so packt und jedes Mal wieder emotionalisiert. Dem Zuschauer geht es nicht anders. 

 

Bernhardt: 2025 feiern Sie 50 Jahre Bühne mit der Heiligen Nacht. Ist der Erzähler Ihre Lebensrolle?

 

Paruta: Rückblickend, ja. Wobei das Werk eher mich gefunden hat. Während meiner Ausbildung wurde es mir von meiner Sprechdozentin Edeltraud Mertel ans Herz gelegt. Wir arbeiteten intensiv daran – und ich merkte schnell: Ich kann das nicht einfach am Tisch sitzend ablesen. Ich wollte spielen, verkörpern. So entstand das Ein-Personen-Spiel, das sich immer weiterentwickelt. Ich bin meiner Mentorin unendlich dankbar für den Impuls und die Beharrlichkeit. Kurz vor ihrem Tod übergab sie mir eine Mappe mit allen Besprechungen, die sie gesammelt hatte. Es sollten noch viele folgen.

Bürgerinnen und Bürger im Weihnachtsfestspiel Heilige Nacht 2024.
Bürgerinnen und Bürger im Weihnachtsfestspiel Heilige Nacht 2024.

Die Inszenierung

 

 

Bernhardt: Immer wieder gibt es Diskussionen um Ludwig Thoma und seine problematischen politischen Texte. Wie gehen Sie damit um?

 

Paruta: Ich distanziere mich klar von seinen hetzerischen Artikeln. Was ihn damals angetrieben hat, bleibt Spekulation – aber es hat seinem Ruhm massiv geschadet. Das ändert jedoch nichts am literarischen Wert seiner Romane, Erzählungen und Bühnenstücke. 

 

Bernhardt: Wie zeigt sich das in Ihrer Inszenierung?

 

Paruta: Wir haben ein paar biblische Namen und Bezeichnungen für Volksstämme geändert. Und die Bethlehemiten sind bei uns Bürger wie sie überall vorkommen. Mit Vorurteilen, Ignoranz und Intoleranz. Im Gegensatz zum Originaltext bereuen sie aber ihr Verhalten und stehen in unserer Inszenierung mit an der Krippe. Ein versöhnlicher Gedanke, der mir bei Thoma fehlt.   



Die Musik

 

 

Bernhardt: Welche Rolle spielt die Musik im Festspiel?

 

Paruta: Eine zentrale. Schon Thoma hat das gewusst. Er unterbricht den Erzähltext mit kurzen Versen, die er Gesänge nennt. Diese musikalischen Brücken helfen, die Aufmerksamkeit zu halten und Stimmungen zu transportieren. Diese Gesänge wurden bald schon von Volksmusikern vertont und gesungen.

 

Bernhardt: Wie kam es zur klassischen Musik im Stück?

 

Paruta: Basierend auf der Heiligen Nacht wollte Thoma ein Weihnachtsspiel auf die Bühne bringen und es mit klassischer Musik vertonen lassen – von seinem großen Zeitgenossen Max Reger. Doch Reger war bereits tot. Seine Idee hat Thoma 1917 seiner Lebensgefährtin Maidi von Liebermann geschrieben. Ich bin nicht unglücklich, dass es zu keiner autorisierten Vertonung kam. So haben wir freie Hand und können jedes Jahr ein sensibel verändertes Musikprogramm zusammenstellen.    

Engelsstimme Patricia K. (9 J.) mit Mariä Wiegenlied von Max Reger 2024.
Engelsstimme Patricia K. (9 J.) mit Mariä Wiegenlied von Max Reger 2024.

Das Pasticcio

 

 

Bernhardt: Die Heilige Nacht mit Musik von Max Reger, vielleicht als Weihnachtsoper?

 

Paruta: Wenn Thoma damals sein Vorhaben hätte realisieren können, gäbe es jetzt zu Humperdincks Märchenoper Hänsel  und Gretel einen Klassiker mehr in den Operhäusern. Mich hat die Vertonung der Heiligen Nacht schon immer gereizt. Ich wußte, dass wir behutsam umgehen müssen. Und so haben bereits ganz am Anfang unserer Zusammenarbeit mein langjähriger Harfenbegleiter Hubert Pfluger und ich nach und nach klassische Stücke in unser Aufführungskonzept integriert. Das wunderschöne Mariä Wiegenlied von Max Reger nimmt noch Bezug auf den Wunsch des Autors und wird als Hommage an den großen bayerischen Komponisten aufgeführt - übrigens von unseren Kindersolisten. Mit den Jahren entstand so eine durchkomponierte Bühnenmusik. Dieses Pasticcio hat das Publikum dankbar angenommen und gibt uns auf der Bühne alle Möglichkeiten der Tiefe, Emotion und Komödiantik.



Das Solistenensemble

 

 

Bernhardt: Sie stellen sich mit einem Pasticcio einer besonderen Herausforderung...

 

Paruta: Durchaus, unser  Pasticcio ist nicht nur ein Mix aus existierenden Musikstücken, es ist auch ein Crossover unterschiedlicher Musikgenres. Das Repertoire bewegt sich von barocker Weihnachtsklassik bis zur Weltmusik. Wir sind in der glücklichen Lage, über ein herausragendes Ensemble aus Oper, Konzert und Schauspiel zu verfügen, das in der Lage ist, einen so weiten musikalischen Bogen zu spannen. Alles virtuose Künstler, auch die Kindersolisten der Engelsstimmen.

 

Bernhardt: Sie haben vor über 20 Jahren das Förderprojekt Engelsstimmen gegründet. Warum?

 

Paruta: Das war die logische Fortsetzung von Herzogs Idee, das Werk für kommende Generationen am Leben zu halten. Deshalb bilden wir Schulkinder zu Bühnensolisten aus. Wir suchen sie jährlich in einem bayernweiten Gesangswettbewerb und bieten Ihnen ein Förderprogramm und ein Auftrittsforum.

Harfenistin Magdalena Geiger im Weihnachtsfestspiel Heilige Nacht 2024.
Harfenistin Magdalena Geiger im Weihnachtsfestspiel Heilige Nacht 2024.

Die Engelsstimmen

 

 

Bernhardt: Wie muss man sich das Förderprogramm vorstellen?

 

Paruta: Musikpädagogen und Künstler coachen die jungen Gesangstalente je nach Eignung zu Solisten. In diesem Umfeld entfalten sich Talente. Manche bleiben jahrelang. Das ist bewegend. Als Kind aus einem nicht musikalischen Elternhaus hatte ich diese Chance nicht. Auch deshalb habe ich das Projekt mit meiner TV-Kollegin Carolin Reiber ins Leben gerufen. Seit 2004 ist sie Schirmherrin und steht der Jury unserer jährlichen Gesangswettbewerbe vor.

 

Bernhardt: Wie viele Kinder erhielten bisher die Förderung?

 

Mehr als einhundert Kinder. In über 500 Vorstellungen konnten sich die Engelsstimmen als Solisten beweisen. Für manche die Startrampe zur künstlerischen Laufbahn. Dieses Jahr sind es neun Preisträger. Die Freude in den Gesichtern der  Engelsstimmen zu erleben ist uns allen ein Geschenk.


Enrico de Paruta mit den Engelsstimmen-Solisten Charlotte Brödenfeld und Jonas Bücherl und den Kindersolisten beim Münchner Weihnachtssingen Heilige Nacht in der Allertheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz, 2018.
Enrico de Paruta mit den Engelsstimmen-Solisten Charlotte Brödenfeld und Jonas Bücherl und den Kindersolisten beim Münchner Weihnachtssingen Heilige Nacht in der Allertheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz, 2018.

copyright edp Media München, 2025

Presse aktuell