Bernhardt: Sie sind heute als Autor, Regisseur, Schauspieler und Bühnenproduzent tätig und veranstalten mit Ihrer Konzertdirektion das WEIHNACHTSFESTSPIEL HEILIGE NACHT. Was macht Ihnen am meisten Freude?
Paruta: Auf der Bühne stehe ich am liebsten. Da kann ich Menschen Freude bereiten, zum Lachen bringen und rühren.
Bernhardt: Als Erzähler der HEILIGEN NACHT stellen Sie viele unterschiedliche Charaktere dar. Welche Figur liegt Ihnen am meisten?
Paruta: Die des Erzählers, der die Figuren der HEILIGEN NACHT aus sich heraus entwickelt und führt.
Bernhardt: Sie hatten bereits zwei Jahrzehnte die HEILIGE NACHT vorgetragen, bis der Schub nach vorne kam.
Paruta: Schon während meiner Gesangs- und Schauspielausbildung waren die Sendestudios des Bayerischen Rundfunks mein eigentliches Zuhause. Live Sendungen im Hörfunk und Fernsehen waren auch der Grund, warum ich nie für längere Zeit ins Engagement gehen konnte. Musikalisch-literarische Soloprogramme waren in über drei Jahrzehnten willkommende Momente, ein Publikum direkt anzusprechen. Mein erstes öffentliches Programm war 1975 die HEILIGE NACHT. Fast zwanzig Jahre war ich damit unterwegs, bis mir die Nachfolge für den verstorbenen Gustl Bayrhammer angeboten wurde. Und so übernahm ich sein Alpenländisches Adventssingen im Herkulessal der Münchner Residenz, gestaltete die erfolgreiche Bühnenproduktion um und veranstaltete sie selbst.
Bernhardt: Wie kam es dazu?
Paruta: 1994 hatte ich das Angebot zu professionellen Weihnachtstourneen engenommen und konnte Einblick in die Vorbereitung und Organisation von Tournen gewinnen.
Bernhardt: Und wie wurden Sie Produzent?
Paruta: 1987 besuchte Roman Herzog eine Vorstellung der Heiligen Nacht in Wallgau. Ein Jahr später übergab er mir ein umfangreiches Manuskript, das er selbst verfasst hatte, eine HEILIGE NACHT FÜR KINDER. Darin waren kindergerechte Erklärungen zum Werk enthalten. Herzog regte mich damit an, die Weihnachtslegende der jungen Generation weiterzugeben. Er hatte längst erkannt, welche wegweisenden Grundwerte das Werk vermittelt, in christlicher, menschlicher und sozialer Hinsicht.
Bernhardt: Haben Sie das Herzog Manuskript umgesetzt?
Paruta: Bundespräsident Herzog beabsichtigte eine jährliche TV-Weihnachtsfeier, um mit Ost und West gemeinsam das Weihnachtsfest zu begehen. Als gläubiger Christ lag ihm am Herzen, der Fernsehnation die Vielfalt deutscher Weihnachtskultur aufzuzeigen und den Ursprung christlichen Glaubens, die Geburt Christi näherzubringen. Aus seinem Heimatland Bayern sollte die Pilotsendung kommen. Als er mich fragte, ob ich das Werk fernsehgerecht umsetzen und produzieren könnte, krempelte ich die Ärmel hoch.
Bernhardt: Eine Mamutaufgabe als Hauptdarsteller, künstlerischer Leiter und Produzent. Wie funktionierte das?
Paruta: Als Teamplayer holt man sich kreative Köpfe ins Boot. Für die Gestaltung der erklärenden Zwischentexte konnte ich den Thoma Spezialisten und Grandseigneur des bayerischen Kinoflms Franz Seitz ("Lausbubengeschichten") gewinnen. Mein langjähriger BR-Kollege Eduard Baumgartner, ein erfahrener Live-Regisseur, übernahm die Fernsehregie. Und TV-Star Carolin Reiber erklärte in kindergerechten Zwischenszenen die Handlung. Das ZDF strahlte die Heilige Nacht als Bayerisches Weihnachtsoratorium an Heiligabend 1995 aus.
Bernhardt: Was treibt sie an, die HEILIGE NACHT aufzuführen?
Paruta: Aus christlicher Sicht mag es eine Art der Verkündigung sein, geprägt von einem starken sozialen Aspekt. Und da ist natürlich der altbayerische Dialekt in seiner schönsten und wärmsten Poesie. Der größte Antrieb war in den vergangenen 25 Jahren der Wandel vom statischen Oratorium zum inszenierten Weihnachtsfestspiel. Dieser Prozess wird auch nie enden. Das Stück bleibt dadurch pulsierend und spannend.
Bernhardt: Was bedeutet Ihnen persönlich die HEILIGE NACHT?
Paruta: Ich kenne keine andere Weihnachtserzählung, die mich immer wieder aufs Neue fasziniert und in mir ein Wechselbad an Gefühlen ausgelöst hätte. Das Werk ist mir Lebensbegleiter, Entwicklungshelfer und Brückenbauer.
Bernhardt: 2025 begehen Sie Ihr 50. Bühnenjubiläum mit der HEILIGEN NACHT. Ist der Erzähler Ihre Lebensrolle?
Paruta: Rückblickend mag das so sein. Das Werk hat allerdings mich gefunden. Anfangs war es als Leerstück für den damals jungen Schauspielschüler gedacht. Meine Sprecherzieherin Edeltraud Mertel hatte die Erzählung mir nahegelegt. Über ein Jahr haben wir uns damit beschäftigt. Sehr bald wurde mir klar, dass ich eine andere Vortragsform für mich finden musste - kein Lesen vom Tisch aus, sondern ein Ein-Personen-Spiel, das den Erzähler zum Zeitzeugen der Handlung macht. Für alles andere war ich einfach noch zu jung. Ich bin meiner Mentorin unsagbar dankbar, dass sie mir den Zugang zu dem Werk öffnete. Sie hat meinen künstlerischen Weg anhand von Presserezensionen verfolgt. Wenige Wochen vor ihrem Tod übergab sie mir einen vollen Karton mit den Worten: Da wird noch viel dazukommen, bis Sie so alt sind wie ich.
Bernhardt: Immer wieder flammen heftige Diskussionen um die historische Einordnung der Person Ludwig Thoma auf. Wie gehen Sie damit um?
Paruta: Ich distanziere mich deutlich von seinen Hetzartikel, die er unter Pseudonym für eine Lokalzeitung verfasst haben soll. Was ihn dazu veranlasst hatte, wird man wohl nie herausfinden. Aus der Sicht unserer Tage hat er sich damit schwer geschadet. Der literarische Wert seiner Romane, Erzählungen und Bühnenstücke bleibt davon aber unberührt.
Bernhardt: Wie gehen Sie damit in Ihrer Inszenierung um?
Paruta: Im Weihnachtsfestspiel gehen wir sehr sensibel mit biblischen Namen um. Die reichen Bethelehmiten sind bei uns Bürger, wie sie überall vorkommen könnten. Im Gegensatz zum Originaltext bereuen sie ihre Herzlosigkeit und stehen im Finale mit an der Krippe - ein versöhnlicher Gedanke, den ich bei Thoma vermisse.
Bernhardt: Wie wichtig ist die Musik in der HEILIGEN NACHT?
Paruta: Die Musik hat einen hohen Stellenwert in der Erzählung, da sie als Lesung konzipiert wurde. Bei einem fünfzig Minuten dauernden Text hält kein Zuhörer die Konzentration ohne Zwischenmusik. Das wusste der Bühnenerfahrend Ludwig Thoma sehr genau und schrieb als jeweilige Kapiteltrennung sogenannte "Gesänge". Sie sind wundervolle Poesie, die als Gedichte wie "Im Wald is so staad" schon sehr bald von Volksmusikanten vertont, gesungen und öffentlich aufgeführt worden sind. In Begleitung von Volksmusikern rezitierten noch zu Thomas Lebzeiten Volksschauspieler das Werk in Lesungen. Das war ein ein erfolgreiches Aufführungskonzept, das sich bis in unsere Tage gehalten hat und das auch ich viele Jahre in meinem freien Vortrag übernommen hatte.
Bernhardt: Wie kamen Sie darauf, die HEILIGE NACHT mit klaassischer Musik auszustatten?
Paruta. Der Dichter schreibt 1917 nach Erscheinen der Heiligen Nacht seiner Lebensgefährtin, das er gerne aus der Erzählung ein musikalisches Weihnachtsspiel entwickelt und dafür den berühmten, an der Klassik orientierten Komponisten Max Reger gewonnen hätte. Der war aber bereits verstorben. Und so kam es nicht mehr zu einer von Thoma autorisierten Vertonung der Heiligen Nacht mit klassischer Musik. Mein damaliger Harfenbegleiter Hubert Pfluger und ich integrierten allmählich populäre klassische Instrumentalstücke und Lieder in das Werk. Mit jedem Aufführungsjahr kamen weitere hinzu. Wir stellten fest, dass es das Publikum positiv aufnahm. Das war der Anbeginn eines mehr und mehr klassischen Musikprogramms, das die Basis zum Weihnachtsfestspiel werden sollte. Und heute erleben die Zuschauer ein durchkomponiertes Pastiggio aus bearbeiteter Musik von Mozart, Schubert Haydn, von Franck, Fall, Molino, Giuliani, Bach, Händel und Lortzing. Natürlich dürfen neben konzertanter Volks- und Weltmusik auch klassische Weihnachtslieder in klassischer Aufmachung daherkommen. Das geht natürlich nur, wenn hochprofessionelle Künstler sie virtuos interpretieren, die eine große stilistische gesangliche Bandbreite haben. Wir sind in der glücklichen Lage, ein großes Ensemble herausragender Künstler aus Oper, Konzert, Schauspiel und Instrumentalmusik zu haben. Dazu gehören auch Kindersolisten der Engelsstimmen.
Bernhardt: Vor über 20 Jahren haben Sie ein Förderprogramm für Kinder geschaffen - warum?
Paruta: Zum einen sehe ich mich der Idee Herzogs verpflichtet, die Heilige Nacht für kommende Generationen am Leben zu halten. Und das kann man am bestenn , wenn man Kinder in der Heiligen Nacht mitspielen lässt. Deshalb begeben wir uns jedes Jahr auf die Suche nach jungen Gesangstalenten, die in kleinen Rollen mitwirken. In unserem langjährigen Förderprojekt der Engelsstimmen steckt viel Arbeit, Zeit, Geld und Herzblut. Schauen Sie sich in den Schulen um, in den Musikschulen und Chören. Da wächst ein großes Potential an wunderbaren, musikalisch hochbegabten Kindern und Jugendlichen heran, dass es eine Freude ist. Vielfach fehlt es aber an praktischer Bühnenerfahrung. Vor Publikum mit Profis auftreten zu können, sich in solistischen Rollen auszuprobieren und dann stehende Ovationen zu ernten, das spornt zur Höchstleistung an. Wir bieten dieses Forum.
Bernhardt: Wie fördern Sie die KInder?
Paruta: Während andere am Wochenende an der Spielkonsole zocken, kommen diese Kinder in unsere Workshops und Proben, bereiten sich auf ihre Auftritte vor. Wir behandeln sie nicht als Schüler, sondern als Kollegen. Und in diesem Klima reift so manches Talent, wird frei und entfaltet sich. Das sind Erfahrungen fürs Leben. Was mich am meisten berührt, wenn Engelsstimmen über Jahre bleiben oder nach dem Stimmwechsel als Jugendliche wieder zu uns zurückkommen. Dass die Saat so aufgeht, hätte ich mir nicht zu träumen gewagt. Als Kind eines nicht musikalischen Elternhauses hatten sich mir diese Möglichkeiten nicht erschlossen. Mit ein Grund, warum ich die Kindersoprane der Engelsstimmen zusammen mit meiner langjährigen Kollegin und Freundin Carolin Reiber ins Leben gerufen habe. 2004 fand der erste Gesangswettbewerb für bayerische Schulkinder im Rahmen des Nachwuchsförderpreises musica Bavariae statt. Das war uns ein Fest! Heuer haben wir neun Kindersolisten ausgewählt, darunter ein Geschwister-Trio und ein Geschwister-Duo.
Anna Maria Bernhardt
Stand 27.07.2025
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