Enrico de Paruta

Mein Leben mit der Heiligen Nacht

 

von Anna Maria Bernhardt

 

 


 

 

 

Bernhardt: Herr de Paruta, welchen Beruf geben Sie an, wenn Sie im Hotel einchecken?

Paruta: Das hängt ganz davon ab, in welcher Funktion ich mich dort aufhalte. Beim Finanzamt werde ich als Kunst- und Kulturschaffender geführt.

 

Bernhardt: Einen Namen haben Sie sich als Hörfunk- und Fernsehmoderator des Bayerischen Rundfunks gemacht, haben Musikshows im ZDF präsentiert und sind heute als Autor, Texter, Komponist, Regisseur, Schauspieler, Musik- und Bühnenproduzent tätig, haben ein Buch über Rhetorik und Körpersprache herausgebracht und veranstalten mit Ihrer Konzertdirektion seit vielen Jahren Weihnachtstourneen. Sie sind Mitglied des Journalistenverbandes und der Münchner Konzertveranstalter, Ehrenkommissar der beyerischen Bereitschaftspolizei, Sodale der Marianischen Männerkongregation. Und der Goldene Trichter wurde Ihnen auch verliehen. Fehlt noch was? 

Paruta: Der Ruheständler. Der bin ich zumindest auf dem Papier. In meinem Leben hat sich alles so ergeben. Nichts von all dem war geplant oder angepeilt. Ich habe eigentlich ein angeborenes Phlegma und mache am liebsten nichts. Aber ich bin offen für Neues und das ist mein Verhängnis.

 

Bernhardt: Würden Sie sich denn als vielseitig bezeichnen oder als multiple Persönlichkeit?

Paruta: Ich hoffe, dass es noch nicht pathologisch ist! (lacht). Wenn man als Kreativer mehrspurig unterwegs ist, wird man oft kritisch beäugt. Nach meiner Erfahrung ist Vielseitigkeit erst die Voraussetzung für eine dauerhafte Karriere.

 

Bernhardt: Als Erzähler der HEILIGEN NACHT stellen Sie viele unterschiedliche Charaktere dar. Welche Figur liegt Ihnen am meisten?

Paruta: Die des Erzählers, der die Figuren der HEILIGEN NACHT aus sich heraus entwickelt und führt. Dazu muss man Menschen mögen, ihr Verhalten beobachten und sich darin wiederfinden. Wenn es gelingt, hab ich wieder eine Figur mehr in meiner Sammlung.

 

 

Bei den miesen Charakteren geht mir schon mal der Gaul durch. 

 

 

Bernhardt: Und was macht Enrico de Paruta am liebsten?

Paruta: 90 Prozent meiner Tätigkeit besteht ja aus Organisation. Was ich allein beim Hinterhertelefonieren an Lebenszeit verloren habe, reduziert mich auf das Alter eines Halbwüchsigen. Produzent und Veranstalter bin ich nur geworden, um meine Ziele verwirklichen zu können. Auf der Bühne stehe ich am liebsten. Da hab ich meine Ruh, kann auftanken, Menschen Freude bereiten, sie zum Lachen bringen, rühren und ihnen den Spiegel vorhalten, wie ein Hofnarr.

 

Bernhardt: Sie hatten bereits zwei Jahrzehnte die HEILIGE NACHT vorgetragen, bis der Schub nach vorne kam.

Paruta: Schon während meiner Gesangs- und Schauspielausbildung waren die Sendestudios des Bayerischen Rundfunks mein eigentliches Zuhause. Live Sendungen im Hörfunk und Fernsehen waren auch der Grund, warum ich nie für längere Zeit ins Engagement gehen konnte. Musikalisch-literarische Soloprogramme waren in über drei Jahrzehnten willkommende Momente, ein Publikum direkt anzusprechen. Mein erstes öffentliches Programm war 1975 die HEILIGE NACHT. Fast zwanzig Jahre war ich fortan jeden Advent auf Weihnachtstour, bis mir die Nachfolge für den verstorbenen Gustl Bayrhammer angeboten wurde. Und so übernahm ich sein Alpenländisches Adventssingen im Herkulessal der Münchner Residenz, gestaltete die erfolgreiche, aber etwas eingestaubte Bühnenproduktion um und veranstaltete sie schließlich selbst. Wenn ich gewußt hätte, was da alles auf mich hereinbricht, hätte ich wahrscheinlich die Finger davon gelassen.

 

Bernhardt: Was ist so schlimm am Veranstalten?

Paruta: Es verkürzt die Lebenserwartung ungemein (lacht). Es war nie mein Lebensplan, unternehmerische Verantwortung und das damit verbundene Risiko zu tragen. Aber ich konnte immer schon gut abschauen, in der Schule wie im richtigen Leben. 1994 lag mir das Angebot einer der größten Tourneeagenturen Deutschlands zu einer eigenen Weihnachtstournee vor. Hello Concerts in Augsburg hatte Haindling, Spider Murphy, Münchner Freiheit und Relax unter Vertrag. Ich war mit der HEILIGEN NACHT der Exot im Portfolio der Manager. Über zehn Jahre konnte ich unter den Fittichen der Vollprofis wunderbare Weihnachtstourneen erleben, bekam Einblicke in die Branche und Zutrauen. Dafür bin ich heute noch Walter Czermak und Lothar Schlessmann sehr dankbar.

 

Bernhardt: Und wie wurden Sie Produzent?

Paruta: 1987 wurde ich für eine Benefizaufführung zu Gunsten der Mukoviszidosehilfe angefragt. So lernte ich deren Initiatorin Christiane Herzog kennen, in der Veranstaltung dann Prof. Roman Herzog. Kurze Zeit später war das Ehepaar Gast meiner HEILIGEN NACHT in der kleinen Kirche von Wallgau. Damals war Herzog noch Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Als absoluter Thoma Kenner hatte Herzog Zugang zum Archiv des Schriftstellers. Ein Jahr später übergab er mir ein umfangreiches Manuskript, das er selbst verfasst hatte, eine HEILIGE NACHT FÜR KINDER. Darin waren liebevolle, kindergerechte Erklärungen zum Werk enthalten. Herzog beabsichtigte damit die Weihnachtslegende der jungen Generation weiterzugeben. Er hatte längst erkannt, welche Grundwerte das Werk vermittelt, vor allem in sozialer Hinsicht.

 

 

Stimme, Mimik, Gestik - mehr Gepäck brauch ich nicht.

 

Bernhardt: Haben Sie das Herzog Manuskript umgesetzt?

Paruta:  Als Herzog 1994 Bundespräsident war, initiierte er eine jährliche TV-Weihnachtsfeier, um mit Ost und West gemeinsam das Fest zu begehen. Als gläubiger Christ lag ihm am Herzen, der Fernsehnation die Vielfalt deutscher Weihnachtskultur aufzuzeigen und den Ursprung christlichen Glaubens, die Geburt Christi näherzubringen. Aus seinem Heimatland Bayern sollte die Pilotsendung kommen. Als er mich fragte, ob ich das Werk fernsehgerecht umsetzen und produzieren könnte, mußte ich erst mal schlucken. Und dann krempelte ich die Ärmel hoch. Der BR hatte dafür kein Geld. Unter der Vorausssetzung einer Anfinanzierung der Produktionskosten im unteren sechsstelligen Bereich konnte sich aber das ZDF eine Produktion vorstellen. Also machte ich mich auf den Weg, diese gewaltige Summe aufzutreiben. Das Sponsoring stand nach einigen Fehlschlägen schließlich dank des Bayerischen Sparkassenverbandes. Von nun kam Fahrt auf.

 

Bernhardt: Mußten Sie nicht Gefahr laufen, sich zu übernehmen?

Paruta: Ich bin Teamplayer und habe mir immer kompetente Mitarbeiter ins Boot geholt. Ein Chefkoch kocht ja auch nicht allein. Für die Textgestaltung des Herzog Konzeptes konnte ich den Thoma Spezialisten und Grandseigneur des deutschen Kinoflms Franz Seitz ("Lausbubengeschichten") gewinnen. Mein langjähriger Kollege Eduard Baumgartner, ein erfahrener Live-Regisseur, übernahm die Fernsehregie. Und TV-Star Carolin Reiber erklärte in kindergerechten Zwischenszenen die Inhalte des Werkes. Ehe ich mich versah war ich Hauptdarsteller, künstlerischer Leiter und Produzent der ersten Fernsehweihnacht eines Bundespräsidenten. Die ZDF-Aufzeichnung wurde als Bayerrisches Weihnachtsoratorium einem Millionenpublikum an Heiligabend 1995 präsentiert.

 

 

Bernhardt: Ging bei der Produktion alles glatt?

 

Paruta: Neben dem frei gesprochenen Text musste ich mir einhundert Kameraeinstellungen merken. Wiederholungen waren vor über 500 Ehrengästen aus allen Bereichen der Gesellschaft ausgeschlossen. Bei der Live Aufzeichnung passierte dann während meines Spiels ein unglaublicher Zwischenfall. Der Kamerakran im Mittelgang der Kirche traf bei einem Schwenk Kardinal Wetter und fegte dem hohen Würdenträger das Käppchen vom Kopf. Den Ehrengästen, dem gesamten Team  und mir stockte der Atem. Aber Seine Eminenz nahm es ganz gelassen und lächelte amüsiert, als ihm sein Pileolus wieder gereicht wurde. Abgesehen vom Donnerwetter, das im Nachgang vom Chef des Bundespräsidialamtes kam, war Gottseidank nichts Ernstes passiert. Im Folgejahr durften wir übrigens auf Einladung und unter der Schirmherrschaft von Kardinal Wetter die Festaufführung 80 JAHRE HEILIGE NACHT im Münchner Liebfrauendom aufführen.

 

Bernhardt: Was treibt sie an, die HEILIGE NACHT aufzuführen?

 

Paruta: Das Werk gibt mir die Möglichkeit, das umzusetzen, was Roman Herzog initiiert hatte. Für manche, die sich von der Kirche entfernt haben, mag das eine Vermittlung sein. Für andere eine Art Verkündigung. Für mich ist es auch der soziale Aspekt, den Thoma in seiner Weihnachtslegende zum großen Thema macht. Und dann ist da natürlich der bayerische Dialekt, ein Altbayerisch in seiner schönsten und wärmsten Poesie.

 

Bernhardt: Ist es Ihnen nicht leid, immer das selbe Werk auf die Bühne zu bringen?

Paruta: Im Gegenteil! Ich kenne keine Weihnachtserzählung, die in sich so geschlossen, so wunderschön und so vielseitig interpretierbar ist wie die HEILIGE NACHT. Sie war mir immer ein Lebensbegleiter, Entwicklungshelfer und Brückenbauer. Ich bin an diesem Werk gewachsen und finde immer wieder neue Aspekte menschlicher Grundmuster und im wahrsten Sinne des Wortes Anhaltspunkte. Das Werk wird als bayerische Hochkultur noch Generationen faszinieren. Ich kenne kein weihnachtliches Werk, das so ein Wechselbad an Gefühlen auslösen kann. Kurz vor der Rührseligkeit setzt der Autor jedesmal einen Bruch durch eine Pointe. Damit bricht die Emotion und das Publikum kann wieder runterkommen. Ich auch.   

 

Bernhardt:  2025 begehen Sie Ihr Bühnenjubiläum mit der HEILIGEN NACHT. Ist der Erzähler Ihre Lebensrolle?

Paruta: Es scheint so. Das Werk hat allerdings mich gefunden. Ich war ja gerade zwanzig, als mir die HEILIGE NACHT als Übungstext von meiner Sprecherzieherin Edeltraud Mertel auferlegt wurde. Ein Jahr lang haben wir uns mit Text  und Dialekt beschäftigt. Umso größer war die Enttäuschung, als ich beim ersten öffentlichen Lesen - das war in einem Altersheim - die Senioren in den Schlaf gesprochen hatte. Mir war klar, dass ich eine andere Form des Vortrags wählen musste. Ich musste ein Spiel schaffen, den Erzähler zum Zeitzeugen der Handlung machen. Ich bin meiner Mentorin heute noch dankbar, dass sie mir den Zugang zu dem Werk eröffnet hat. In der Presse hatte sie meinen Weg verfolgt und die Auschnitte gesammelt. Und als ich sie wenige Wochen vor ihrem Tod besuchte, übergab sie mir eine volle Mappe und meinte verschmitzt: Da wird noch viel zusammenkommen bis Sie so alt sind wie ich, 

 

 

Beim Josias geht mir der innere Gaul durch.


Bernhardt: Der 100. Todestag von Ludwig Thoma löste erneut heftige Diskussionen um die historische Einordnung seiner Person und Werke aus. Sind Sie ein Thoma-Fan? 

Paruta: Ich distanziere mich in aller Deutlichkeit von ihm und habe durchaus Probleme, seine Werke unvorbelastet auf mich wirken zu lassen. Thomas Kolumnen im Miesbacher Anzeiger waren Hetzartikel in alle Richtungen, gegen die Kirche, die Juden, die Bourgoisie, insbesondere aber gegen sich selbst, seine Einsamkeit und Verlassenheit, gegen seine Liäson mit einer verheirateten Frau, deren Ehemann sie nicht gehen ließ. Ihn hatten alle gute Geister verlasen. Ich kann es heute noch nicht fassen, dass ein und der selbe Mensch eine tief bewegende HEILIGE NACHT und gleichzeitig diese Hasstiraden verfassen konnte. Ich sehe durchaus Paralellen zu einigen Zeitgenossen, die gutbürgerlich vor sich hin leben und dann in der Geborgenheit der Anonymität Hass- und Morddrohungen posten. Unter Pseudonymen verfasste Thoma seine Hetzartikel für die Lokalzeitung und wiegte sich in Sicherheit. Aus der Sicht unserer Tage hat er sich selbst vom Sockel des Bayerndichters gestoßen.

 

Bernhardt: Wie gehen Sie damit in Ihrer Inszenierung um?

Paruta: Ich bin mir der Gradwanderung bewußt. Im Weihnachtsfestspiel gehen wir sehr sensibel mit biblischen Namen um. Die reichen Bethelehmiten sind bei uns Bürger. Im Gegensatz zum Originaltext bereuen sie Hetze und Hartherzigkeit. Und können so letztendlich mit an der Krippe stehen. Diesen versöhnlichen Gedanken will ich einbringen. Wir ziehen außerdem eine klare Linie zur Haltung des späten Thoma mit Musik jüdischer, sogenannter "verbrannter" Komponisten. 

Engelsstimmen als Profis auf der Bühne zu erleben ist beglückend.

Bernhardt: Wir stark wirkt die HEILIGE NACHT heute noch?

Paruta: Sie ist und bleibt die schönste, in unsere Bergwelt, Sprache und Mentalität übertragene Weihnachtsgeschichte frei nach dem Evangelisten Lukas. Wer sich auf sie einläßt, wird schnell in ihren Bann gezogen. In unserer Festspielfassung spielt ja die Musik eine große Rolle. Wir haben bereits vor vielen Jahren die Klassik einbezogen, weil sie in ihrer Tiefe berührend ist. Ich habe mich sehr früh bereits dafür entschieden, mit Musik von Mozart, Schubert und Haydn völlig neue Akzente in der HEILIGEN NACHT zu setzen. Und heute haben wir Komponisten wie Franck, Fall, Molino, Giuliani, Bach, Händel und Lortzing neben konzertanter Volks-, Weltmusik und klassischen Weihnachtsliedern. Das geht natürlich nur, wenn hochprofessionelle Künstler sie virtuos interpretieren. Die richtige Wahl eines Mitwirkenden ist dann getroffen, wenn er eine große stilistische Bandbreite hat, seine Emotionalität glaubwürdig ist und über die Rampe kommt. Wir sind in der glücklichen Lage, ein großes Ensemble herausragender Künstler aus Oper, Konzert, Schauspiel und Instrumentalmusik zu haben. Auch die Kindersoprane der Engelsstimmen gehören dazu.     

 

Bernhardt: Sie fördern seit Jahren junge Nachwuchskünstler. Ist das Marketing oder innerer Auftrag?

Paruta: In unserem langjährigen Förderprojekt der Engelsstimmen steckt viel Arbeit, Zeit, Geld und Herzblut. Schauen Sie sich in den Schulen um, in den Musikschulen und Chören. Da wächst ein großes Potential an wunderbaren, musikalisch hochbegabten Kindern und Jugendlichen heran, dass es eine Freude ist. Vielfach fehlt es aber an praktischer Bühnenerfahrung. Vor Publikum mit Profis auftreten zu können, sich in solistischen Rollen auszuprobieren und dann stehende Ovationen zu ernten, das spornt zur Höchstleistung an. Wir bieten dieses Forum. Während andere am Wochenende an der Spielkonsole zocken, kommen diese Kinder in unsere Workshops und Proben, bereiten sich auf ihre Auftritte vor. Wir behandeln sie nicht als Schüler, sondern als Kollegen. Und in diesem Klima reift so manches Talent, wird frei und entfaltet sich. Das sind Erfahrungen fürs Leben. Was mich am meisten berührt, wenn Kinder über Jahre bleiben oder nach dem Stimmwechsel als Jugendliche wieder zu uns zurückkommen. Dass die Saat so aufgeht, hätte ich mir nicht zu träumen gewagt. Als Kind eines nicht musikalischen Elternhauses hatten sich mir diese Möglichkeiten nicht erschlossen. Mit ein Grund, warum ich die Kindersoprane der Engelsstimmen zusammen mit meiner langjährigen Kollegin und Freundin Carolin Reiber ins Leben gerufen habe. 2004 fand der erste Gesangswettbewerb für bayerische Schulkinder im Rahmen des Nachwuchsförderpreises musica Bavariae statt. Das war uns ein Fest!  

 

 

Anna Maria Bernhardt, 2021

aktualisiert 2025

copyright edp Media München

PRESSE aktuell